Freitag, 25. Januar 2013

Erste Annäherung

Beobachtungen bei anderen und an mir selber haben mich bewusst werden lassen, dass sich das Rezeptionsverhalten verändert. Noch vor 20 Jahren gehörte es zum morgendlichen Ritual bei Kaffee und Croissant das Neuste aus der Tageszeitung zu entnehmen. Man rezipierte mehr oder weniger linear. Fügte die neusten Entwicklungen dem bestehenden Informationsstand bei und ging zu seinem Tagwerk über.

20 Jahre später lässt sich dieses Verhalten nur noch bei der ältesten Generation beobachten, falls diese überhaupt noch am Tagesgeschehen interessiert ist. Alle anderen Altersgruppen verhalten sich völlig anders und zwar vermutlich so unterschiedlich wie sich unterschiedliche Interessengruppen feststellen lassen. Doch allen ist gemein, dass der Anteil des rezipierten gedruckten Wortes ausserhalb des beruflichen Aufgabenfeldes sinkt. Das zumindest kann man aus der Tatsache ableiten, dass die gedruckten Tageszeitungen den Krebsgang eingelegt haben. Das hat selbstverständlich noch andere Gründe, die sich kaskadenartig ineinander verkrallt haben und schliesslich zu einem Qualitätsverlust führten, der dem Zeitungslesen nicht förderlich ist.

Davon ausgehend, dass sich die Menschen weiterhin informieren, also informiert sein wollen, stellt sich die Frage, wie sie das heute tun und ob es weiterhin eine lineare Rezeption von Information und die damit einhergehende Vertiefung des Hintergrundwissens gibt oder ob sich da etwas verändert.

Iterativ-progressive Rezeptionsmatrix

Ich stelle folgende These in den (virtuellen) Raum:

"Der Mensch des frühen 21. Jahrhunderts hat angefangen, mental eine eigene strukturierte Datenbank anzulegen nach dem Vorbild der Funktionsweise einer Festplatte. Sie hat die Struktur einer dynamischen Matrix, deren Komponenten einen nicht festen Platz besetzen, der sich je nach Bedarf verschiebt und fähig ist, neue Kontexte zu schaffen. Die Komponenten in sich haben demgegenüber eine feste Struktur, die aus verschiedenen Teilfunktionen besteht, die einer Computerdatei ähnlich sieht. In dieser Datei werden nicht nur die eigentlichen Informationen, also die Tatbestände gespeichert, sondern auch Stichwörter (Metadaten), Namen, Linkinformationen zu Webseiten, Social Media Status, emotionale Besetzung, Wichtigkeit, Schnittstellen und so fort.
So gewappnet steht der Mensch mitten in den Informationsfluten und nimmt in sich auf was seiner persönlichen Matrix entspricht, filtert somit die Fluten ohne das Aufgenommene zu verarbeiten, zu qualifizieren, zu akzeptieren oder zu verwerfen. Dafür ist früh genug Zeit, wenn die Komponente zu einer sich einstellenden Gelegenheit nachgefragt wird. Ist dieser Zeitpunkt gekommen, rückt die Komponente in den Fokus und wird akribisch analysiert, die vorhanden Informationen werden verarbeitet und in Wissen überführt. Da die Informationen laufend einströmen und sich mit der bewussten Verarbeitung zu einem Bild formen, kann die Rezeption als progressiv bezeichnet werden.
Gerät nun die Komponente durch äussere Ereignisse in den bewussteren Vordergrund, stehen die einzelnen Informationen noch völlig unverkettet zur Verfügung - es ist also nur Halbwissen vorhanden, das schwächer ist als damit verbundene Emotionen - doch weil sie nun priorisiert ist, kommt ein iterativer Prozess in Gang, der dank den vorhandenen Metadaten in kürzester zu einer fundierten und abgestützten Meinung reifen kann.
Kann diese These validiert werden, steht fest, dass die lineare Rezeption von der iterativ-progressiven Rezeption abhängig ist und erst Wirkung erzielt, wenn ein entsprechender Prozess installiert ist."


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